Lesereisen Tagebuch

 

 

Wer gern mehr Berichte über meine Lesereisen möchte, kann sich das Ganze, in inzwischen überarbeiteter und gekürzter Form, als PDF runterladen: Lesereisen Tagebuch von 2012


Podsdam Die Paste 19.09.12  „Zum Glück gab es Punk

Die Lesung findet in der Paste im Garten statt. Die Paste ist ein sehr schönes Hausprojekt mit 10 Leuten plus Kinder und Hunde. Ich bin ein bisschen neidisch, weil alles so sauber und liebevoll gepflegt aussieht und ich, wenn ich auf dem Sprengel bleiben will, mein Leben im Dreck fristen muss.
Zur Veranstaltung kommen etwa 25 Leute. Die Leinwand für meine Bilder ist eine total zerknitterte Plastikplane mit einem Riss. Die Fotos sind kaum zu erkennen. Die Lesung selber ist ein Sprung ins kalte Wasser. Ich fange an, – keine Reaktion, – ich lese weiter,- keine Reaktion. Pause. Sagt jetzt jemand etwas zu mir, wie er oder sie es findet? Ja,- jemand findet das Power Point Programm, das ich benutze ganz toll. Nicht meine Zusammenstellung, sondern OpenOfficeImpress.
Es ist schweinekalt! Sowohl ich als auch das Publikum frieren.
Ein seltsames Gefühl, sich so zu exponieren, sein Innerstes nach außen zu kehren, wenn vom Gegenüber absolut nichts kommt. Trotzdem, sage ich mir, ich muss immer mein Bestes geben und lese einfach mit so viel Betonung wie möglich weiter.
– Ist mein Buch nur für Leute mit lokalem Bezug interessant? – Habe ich die falschen Geschichten ausgesucht? – Kann man im Osten nicht mit der 68er Bewegung anfangen? – Haben die Leute harte Punkergeschichten erwartet und nicht eine vermasselte Kindheit und Jugend mit Aknepickeln und Komplexen? Darüber kann ich mir noch weiter den Kopf zerbrechen, es ist aber sinnlos.
Auch nach der Lesung kein Wort zu mir über die Lesung. Der einzige anwesende Ex–Hannoveraner kauft ein Buch und  – oh Wunder, auch noch eine mir unbekannte Frau

Berlin Meuterei  20.09.12

Die Lesung findet in der Meuterei statt. Sehr sympathischer Laden, aber leider eine Raucherkneipe.
Meine Bronchien sind nämlich total kaputt und ich kann verrauchte Räumlichkeiten nur schwer aushalten. Zum Glück hat mir mein Lungenarzt seit neusten ein Cortisonspray verschrieben und das hilft. Immer wenn ich anfange die Raucher wegen ihres gemeinen Ausgrenzungs-Verhalten zu hassen, muss ich mich daran erinnern, dass ich selber mal eine von ihnen war und deswegen jetzt so krank bin.
Es sind etwa 25 Leute da. Gleich als ich anfange zu lesen, ist klar, es macht Spaß. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass einige Spanier des Nordens (Hannoveraner!) da sind, die für Stimmung sorgen. Aber die anderen findens auch gut und scheinen sich gut zu unterhalten. Für die Berliner habe ich extra ein Kapitel über meine Erlebnisse in Kreuzberg 1980 ausgesucht. Ich bekomme einen kleinen Schreck, als doch tatsächlich jemand zur Lesung kommt, der in dem Haus Lukauerstraße 3 gewohnt hat, wo ich damals zu Besuch war. Nach 32 Jahren. Eigentlich ist das ja nett – aber: Der weiß das doch alles besser und findet sicher, dass ich den totalen Scheiß verfasst habe. Zum Glück habe ich nie behauptet, die Wahrheit zu verkünden. Ich schreibe radikal subjektive Geschichte. Erzählungen. Nach der Lesung haut er gleich ab, er kann den Rauch nicht ertragen.
Ich bekomme viel Lob und Zuspruch und kann ein paar Bücher verkaufen. Sogar eine Frau, die sich in der deutschen Sprache nur mäßig Zuhause fühlt, ist ziemlich angetan und will auch ein Buch haben. Damit ist die Paste neutalisiert.
Für Leipzig und Dresden überlege ich nun, zwei kurze Kapitel aus meiner Kindheit rauszunehmen und durch harte Punkergeschichten zu ersetzen. Ich bereite alles vor und lasse mir das noch bis zum Schluss offen.

Leipzig Zorofestival  22.09.12

Als ich mittags am Zoro ankomme ist der ganze Hof übersät von Crusties. Straßenköterdreads, Ochsenringe in der Nase, Tunnelohrstecker, Piercings, fettglänzenden kaputte Jeans, Patches mit Schriftzügen von Doom und Conkrete Sox, Patronengürtel, Nieten und Army Stiefel. Ach – und nicht zu vergessen die Siebdrucke mit dem Elend der Welt. Kleine afrikanische Kinder, verzweifelt vor einer Landschaft zerstörter Natur.
– Endzeitgestalten –. Fast jeder, jede sieht genauso aus. Was bin ich froh, dass ich nicht mehr um die Aufnahme in so eine unheimliche coole Scene buhlen muss!
Ich kann Crusties nicht verstehen. Was ist die Botschaft dieser Uniformierung? Außenstehende könnten meinen es handele sich hier um ein Bekenntniss zur bittersten Armut. Unwahrscheinlich. Und die erste Frage, die ich jemanden stellen höre lautet dann auch: „Do you know where the cash machine is?“
Die Idee es könnte sich hier um eine radikale Absage an die Konsumgesellschaft handeln, muss man auch gleich verwerfen. Zwar werden von den meisten tierische Produkte boykottiert, aber dafür sind alle nonstop am zechen, kiffen und Zigaretten rauchen. Keine Minute ohne Konsum. Die ersten liegen schon am späten Nachmittag mitten im Weg auf dem Pflaster.
Klar ist jedenfalls – diese Leute und ich, wir haben uns nichts zu sagen und sie werden nicht zur Lesung kommen.
Trotz des ersten Eindrucks fühle ich mich wohl auf dem Festival. Das liegt sicher auch an der Orga Crew und die Art und Weise, wie sie den Rahmen für Veranstaltungen geschaffen hat und auch für eine gewisse Grundstimmung sorgt. Alles ist so vorbereitet, dass man sich darauf verlassen kann, dass es läuft.
Die Crusties hängen zwar den ganzen Tag auf dem Platz, aber so nach und nach kommen immer mehr andere Leute dazu. Außerdem – so schlimm sind sie auch wieder nicht. Unverhohlener Sexismus z.B. ist bei ihnen eher nicht angesagt.
Zur Lesung kommen dann etwa 30 Leute (keine Crusties). Mein Computer spinnt rum, entschließt sich aber dann doch dazu zu funktionieren. Ich habe mein Lese Programm drastisch geändert und gekürzt. Sensiblere Kapitel habe ich rausgeschmissen und durch ein lustigeres ersetzt. Während des Lesens höre ich nicht viel vom Publikum. Hier und da mal ein verhaltenes Lachen. Hätte ich doch das Programm besser so gelassen? Außerdem finde ich, ich lese diesmal gar nicht gut. Ich habe das Gefühl, ich mache alles falsch. Wenn ich aber meinen Blick durch den Raum schweifen lasse, so sehe ich, alle hören konzentriert zu und sehen zufrieden aus.
Am Ende gibt es noch Applaus. Einige kommen noch vorbei, um mir zu sagen, dass sie es gut fanden und oder kaufen sogar ein Buch. Bücher verkaufen ist wirklich sehr mühsam! Ich wollte es ja zuerst nicht glauben.
Schließlich kann ich am nächsten Tag noch ein paar Bücher verkaufen und Optionen für weitere Lesungen gibt es auch noch. Nun geht es weiter ins ehemalige Tal der Ahnungslosen, ganz tief in den Osten. (Heutzutage sollen die da unten ja einen ganz guten Empfang haben)

 Dresden Buchladen Kurt König 24.09.12

Leider hat das mit der Mitfahrgelegenheit, die man mir organisiert hat, nicht geklappt. Ich habe da was mit der Telefonnummer verpeilt. Schade eigentlich, da es heißt der Fahrer sei ein DDR-Punk Urgestein – für eine Geschichtenerzählerin natürlich von Interesse. So schlimm ist es aber wahrscheinlich doch nicht, denn angeblich redet er sowieso nur von Knoblauch und Schallplatten.
Die Lesung soll in einem Saal im Conni stattfinden. Als ich dort ankomme stellt sich heraus, zeitgleich tritt im Keller eine Crustband auf. Als sie mit dem Soundcheck anfangen, erkenne ich die Herausforderung, die sich mir an diesem Abend stellt. Ich muss mit meinem Micro gegen die PA der Band anstinken. Das Kräfteverhältnis kann da gar nicht zu meinen Gunsten ausfallen.
Meine Stimmung sinkt in sich zusammen. Was ist das für ein verpeilter Laden hier?! Was für eine Desorganisation?! Eine dunkle Wolke böser Gedanken zieht sich über meinem Kopf zusammen. Dann aber entschließe ich mich dazu runterzukommen und zu klären, dass die Lesung in diesem Gemäuer und diesen Umständen nicht stattfinden kann – von wegen Punkrock!
Also wird der winzige Infoladen hergerichtet. Es geht alles recht schnell. Sogar die Technik funktioniert gut.
Ich habe so meine Zweifel ob überhaupt Leute kommen. Bestimmt hat der Raum die optimale Größe. Tatsächlich tauchen einzelne wegen der Lesung auf. Andere sind zufällig anwesend, weil sie gerade Plenum hatten und weitere wollen noch so lange zuhören bis das Konzert losgeht. Von letzteren bleiben dann welche lieber bei der Lesung und verzichten auf das Konzert. So wechselt die Zahl der Anwesenden zwischen 15 und 20 hin und her.
Ich entscheide mich für mein übliches Programm. Das Publikum zeigt sich gleich zu Beginn aufgeschlossen. Keine Coolness, keine Reserviertheiten. Von Anfang an Gekicher. Ich fühle mich ermutigt und laufe zu meiner Höchstform an. Schallendendes Gelächter an den richtigen Stellen. Es läuft gut. In der Pause und nach der Lesung sparen die Leute nicht mit Lob und Anerkennung. Auch die Organisatoren scheinen zufrieden, sie wirken positiv überrascht. Bücher verkaufen kann ich auch noch.
Jetzt geht’s erstmal wieder mit dem ICE nach HannoverDIGITAL CAMERA

Keine Autobahn, keine Staus, keine nervenraubende Fahrt hinterm Steuer. Lieber schön im ICE sitzen und aus dem Fenster gucken. Günstig und umweltfreundlich. Dafür heißt es aber den Hackenporsche mit den Büchern hinterherziehen und den Rucksack schleppen. Der verdammte Laptop wiegt soviel wie mein Zelt, meine Isomatte und mein Schlafsack zusammen. Das gibt Muskeln, trotz drohender Vergeistigung!

Frankfurt/Main Mediacampus 02.10.12

Der Campus besteht aus einem Gelände, mit mehreren kleinen Gebäuden, am Stadtrande auf einem Hügel. Dazwischen angelegt sind begrünte Flächen mit Sitzgelegenheiten. Von einem der Dächer aus hat man einen guten Blick über Frankfurt. Ein wirklich angenehmer Ort.
Heute Abend heißt es, raus aus dem Getto. Kein Autonomes Zentrum, kein winziger linker
Buchladen. Ich lese zum ersten Mal vor einem Publikum, dass sich nicht aus Linken, Autonomen, Punkern und Expunkern zusammensetzt.
Ich bin hier als Autorin an die Schule eingeladen, an der schon seit Jahrzehnten alle zukünftigen Buchhändler des Landes für ein paar Wochen lang Blockunterricht erhalten. Das sind natürlich alles LiteraturliebhaberInnen. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht. Kann mein Buch von einem breiterem Publikum gelesen werden oder ist es nur für „Szene Leute“ geeignet?
Jutta Dittfurt ist schuld daran, dass ich mir von dem Dozenten, der mein Ansprechpartner ist, ein und die selbe Predigt 5 Mal anhören muss und zwar sehr eindringlich. Die Woche zuvor hatte man ihr wohl großzügig 90 Minuten Lesezeit zugestanden. Das ist an sich viel zu viel. Die SchülerInnen hatten den ganzen Tag schon Unterricht und können irgendwann einfach nicht mehr zuhören. Da Jutta aber ein so schwer zu bändigendes Sendungsbewusstsein hat, wurde bei ihr eine Ausnahme gemacht.

Dummerweise ist dieses aber überhaupt nicht zu bändigen. Sie hat wohl 2 Stunden im Stück gelesen. Die SchülerInnen waren völlig fertig und sind nicht auf die Idee gekommen danach auch noch das Buch zu kaufen.
Mir wurde von vorne herein nur 1 Stunde zugebilligt. Darauf habe ich auch mein Programm exakt zugeschnitten. Was nützt Sendungsbewusstsein, wenn die Sendung den Empfänger nicht erreicht.
Während der Dozent mich vorstellt, werfe ich nochmal schnell einen Blick auf meinen Text. Oh Schreck – vor mir liegt das abgefuckte Berlinkapitel mit all seinen Exzessen und Abgründen! Schnell sprinte ich nochmal ins Zimmer und hole das richtige Schriftstück. Als ich anfange zu lesen bin ich noch ganz außer Atem, aber dann gehts.
Es sind über 30 SchülerInnen da. Sie sind sehr freundlich und offen. Ich merke, sie hören mir konzentriert zu, nehmen Anteil und finden es teilweise auch sehr lustig. Vor dem letzten Kapitel frage ich, ob sie noch können und wollen. Eifriges Kopfnicken. Am Ende stellt noch eine Schülerin eine einfache Frage, die ich schnell beantworten kann. Dann sitzen sie alle da und warten erwartungsvoll auf weitere Fragen, die ich beantworten würde, aber niemand fragt. Also lösen wir die Veranstaltung auf.
Nachdem ich noch ein paar Bücher verkauft und signiert habe, kommt doch noch was nach. Ein junger Mann will wissen, ob ich meine Ideologie inzwischen geändert habe. Im Klappentext stehe ja „..Expunkerin, Exhausbesetzerin..“Während er fragt sitzt er da, mit einer sowohl lässigen, als auch herablassenden Körperhaltung. In seiner bemüht dreisten Art, mit der er sich auf der Bank fletzt, nimmt so viel Raum ein wie das möglich ist, mit nur zwei Armen und Beinen. Dabei sieht er aus wie einer, der gerade den Sinn und Zweck des Frauenwahlrechts in Frage stellt.
Ich ignoriere sowohl Körpersprache als auch den Begriff „Ideologie“, der mir übel aufstößt und antworte gewissenhaft. Weder sehe ich mich heute noch als Punk, noch distanziere ich mich davon. Manchmal gehen ich noch auf ein Konzert.
Dann werde ich abrupt unterbrochen. Er will eigentlich nur kundtun, dass er auf lästige
Mitmenschen, die schnorren und nerven, kein Bock hat. Auf Straßenpunker. Was sind das denn für Leute! Ich fange an zu erklären. Nicht jeder konnte in wohlbehüteten Verhältnissen aufwachsen, manche wurden sogar vernachlässigt oder misshandelt….Da unterbricht er mich wieder. Er ist richtig sauer. Nur weil einer geschlagen wurde, gibt ihm das nicht das Recht – IHM – dumm zu kommen.
Seine Kollegen sind unangenehm berührt. Er soll nicht unterbrechen und nicht so vorlaut sein. Außerdem gibt es jede Menge unangenehme Zeitgenossen, die auf der Straße aggressiv pöbeln und die wenigsten davon sind Punker. Klar räumt er ein. Rechte Skins findet er mitunter auch nicht so gut. Diesen Vergleich – Rechte mit Punks – finden die anderen nicht akzeptabel. Außerdem – die eine oder andere hat sehr gut Erfahrungen mit Punkern gemacht…..
Ich bleibe noch bis zum übernächsten Morgen. Der Hackenporsche ist nun um 10 Bücher leichter. Es war insgesamt sehr schön!